«Alte Angst vor "dem Russen" bekommt neue Nahrung»
Was lösen die Kriegsbilder von heute bei den älteren Deutschen aus? «Weil Russland der Aggressor ist, bekommt die alte Angst vor "dem Russen" neue Nahrung», sagt Gebhardt. «Die war schon vor der Kapitulation am 8. Mai 1945 dank der Propaganda von Joseph Goebbels extrem ausgeprägt gewesen, und was dann auf der Flucht und bei der Besetzung geschah, denken Sie an die Massenvergewaltigungen, schien die Ängste nur zu bestätigen. Flucht und vertreibung 1945 unterrichtsmaterial video. Den Kindern und Enkeln wurde davon zwar oft nur in Andeutungen erzählt, aber das hat die Bilder in der Fantasie eher noch verschlimmert. »
Die erneut große Hilfsbereitschaft während des Ukraine-Kriegs hängt für Gebhardt wie anfangs auch im Jahr 2015 mit dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen an die eigenen Fluchterfahrungen zusammen. «Und im Gegensatz zu 2015 sind es diesmal vor allem Frauen und Kinder, die kommen. Das lädt noch mehr zur Identifikation ein, denn auf den Flüchtlingstrecks 1945 waren es auch in erster Linie Frauen, Kinder und Alte gewesen.
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veröffentlicht
21. 04. 2022 um 09:16 Uhr
Zu Fuß oder mit Pferdekarren flüchten Menschen aus den östlichen Gebieten des besiegten Dritten Reiches gegen Ende des 2. Weltkrieges in Richtung Westen. © Foto: picture alliance / dpa
Berlin - Der Anrufer ist hochbetagt, mit 16 musste er in den Zweiten Weltkrieg ziehen. Fast 80 Jahre später tobt ein Krieg in der Ukraine, das weckt bei ihm Erinnerungen. Beim Seniorentelefon Silbernetz bricht es aus dem Mann heraus: Er habe damals schlimme Taten begangen, an Zivilisten. «Das kam alles wieder hoch», erzählt Silbernetz-Gründerin Elke Schilling. Flucht und vertreibung 1945 unterrichtsmaterial free. Die Hotline gegen Einsamkeit im Alter verzeichnet während des Kriegs einen Zuwachs bei den Anrufen. Auch alte Frauen sind dabei, deren Mütter vergewaltigt worden waren, was in Deutschland lange verschwiegen wurde. Es war in den Familien der Nachkriegszeit ein Tabuthema, das sich auch hinter dem Satz «Wenn die Russen kommen, dann lauft» verbarg. Krieg, Flucht und Vertreibung - Erinnerung wird wieder wach
«Weckt starke Erinnerungen» Heute kommt bei einigen der - durch die deutsche Kriegsschuld verursachte - Schmerz wegen der Gräuel und Massaker in der Ukraine wieder hoch.
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Ihr Vermögen verfiel an den Staat. Das nationalsozialistische Deutsche Reich besetzte in den ersten Kriegsjahren des Zweiten Weltkrieges weite Teile Europas, wo auch die Verfolgung der Jüdinnen und Juden einsetzte. Jüdische Flüchtlinge aus Österreich und Deutschland wurden nun von den Nationalsozialisten wieder eingeholt und später auch aus diesen Ländern in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert.
» Tatsächlich gab es in den Nachkriegsjahren wenig Willkommenskultur. Das stark durch den Krieg zerstörte und verkleinerte Deutschland musste damals eine gewaltige Zahl an Flüchtlingen und Vertriebenen aufnehmen: Zwölf Millionen waren es Stand 1950, wodurch die großen Kriegsverluste in der Bevölkerung wieder ausgeglichen wurden, wie der Historiker Michael Schwartz (Institut für Zeitgeschichte München-Berlin) schildert. «Zunächst war die deutsche Nachkriegsgesellschaft - trotz entsprechender Politiker-Appelle - im Alltag wenig von Solidarität geprägt, vielmehr von Ablehnung der Flüchtlinge durch soziale und kulturelle Konflikte. » Flüchtlinge galten laut Schwartz als soziale Belastung. Sie brauchten Wohnraum, Arbeitsplätze und finanzielle Unterstützung - und das alles war knapp. Sie wurden abgelehnt, als «Polacken» beschimpft. Die Vertreibung. «Materiell standen die Flüchtlinge ganz unten in der sozialen Hierarchie», sagt Schwartz. Ein drastisches Beispiel für die Stimmung damals findet sich im Buch «Flüchtlingsland Schleswig-Holstein»: Im März 1945 wurde ein Flüchtlingsmädchen mit seiner Mutter bei einer Familie in Heide im Schlafzimmer einquartiert.