Das trifft auch auf unser Gedicht zu. Denn warum sonst sollte jener, der hier spricht, an einer Rose so sehr interessiert sein, dass er ihr ein Lied wie eine Brieftaube senden möchte? Der Unglückliche ist verstummt
Das Frühlingslied ist also beides in einem: der Postillon d'Amour und die offenkundig zarte Botschaft, die überbracht werden soll. Ähnliches war schon im "Buch der Lieder" zu lesen. Aber das Lebensgefühl, das hier zutage tritt, ist ungleich milder und sanfter als früher, von Bitternis, von Unmut oder Zorn gibt es im Gedicht "Leise zieht durch mein Gemüt" keine Spur mehr. Das hat, glaube ich, mit Heines Entscheidung von 1831 zu tun. Ob diese so harmlos anmutenden Verse kurz vor seiner Umsiedlung nach Frankreich entstanden sind oder kurz danach – auf jeden Fall vernehmen wir die Stimme nicht mehr jenes Unglücklichen, der sich lauthals und bisweilen schrill beklagte, er habe die Liebe vergeblich gesucht und vergeblich die Hände ausgestreckt, die Antwort sei stets nur Hass gewesen.
Leise Zieht Durch Mein Gemüt Heine Die
Mit anderen Worten: In Deutschland gehörte er zu den Ausgestoßenen, in Frankreich zu den Ausländern. Grußwort an eine Pflanze? In Heines "Buch der Lieder", das vier Jahre vor dem Gedicht "Leise zieht durch mein Gemüt" veröffentlicht wurde, steht die Liebe im Mittelpunkt, beinahe immer die unglückliche Liebe. Denn zwischen und hinter den Versen der berühmten Sammlung verbirgt sich das Leid eines jungen Menschen, der, in die deutsche Welt hineingeboren, von ihr angenommen werden möchte. Wir hören von einem Neuankömmling in der Gesellschaft, dem man die Gleichberechtigung verweigert, der verschmäht und zurückgewiesen wird, der allein und einsam bleibt. Diese besondere Situation des Juden Heine verleiht seiner frühen erotischen Lyrik ihre Trauer und ihre scharfen Akzente, ihren Gram und ihren Groll. Ihr zugleich verdankt sie ihren Reiz und ihre Eigenart. Das Lied "Leise zieht durch mein Gemüt" behandelt ebenfalls das zentrale Motiv des "Buchs der Lieder", doch jetzt auf andere Art. Blumen gehören zu den ältesten Symbolen der Weltliteratur, Rosen zu den beliebtesten: Wenn von ihnen in der Poesie die Rede ist, hat der Autor (natürlich nicht immer, aber sehr häufig) Frauen im Sinn und die Liebe.
Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute. Klinge, kleines Frühlingslied. Kling hinaus ins Weite. Kling hinaus, bis an das Haus,
Wo die Blumen sprießen. Wenn du eine Rose schaust,
Sag, ich laß sie grüßen. 1999-06-01 – Anmerkung von Gretel Steiner:
Felix Mendelsohn-Bartholdy ergänzte den Text für seine Vertonung
durch eine Strophe von Hoffmann von Fallersleben, die er als zweite dazwischenschob:
2/
Sprich zum Vöglein, das da singt
Auf dem Blütenzweige;
Sprich zum Bächlein, das da klingt,
Daß mir keines schweige!